Zwei Gläser und ein Draht – so wird gutes Sehen Wirklichkeit

SCHWABACH – Wie wird aus einem Draht mit ein paar Handgriffen in einer halben Stunde ein Brillengestell? Was hat es mit der „EinDollarBrille“ und dem Verein gleichen Namens auf sich? Das hat sich der Schwabacher Lions Club erklären und gleich vorführen lassen – und ist so beeindruckt von der Vision vom guten Sehen, dass er einen 2500-Euro-Spendenscheck ausstellt.   

Wenn wir nicht scharf sehen, hilft ein Sehtest, vielleicht ist eine Brille nötig. Schon wird alles wieder klar. So einfach ist das. Hier in Deutschland, in Europa, in den reichen Ländern. Aber in einem Dorf in Burkina Faso, in Bolivien oder Myanmar?

Wie lässt sich in der Dorfschule in Malawi überhaupt feststellen, ob das Mädchen in der ersten Reihe oder der Junge ganz hinten im Raum alles sehen, was Lehrer oder Lehrerin vorn ihnen zeigen? Und wie kann die arme Schneiderin in Paraguay ihre Familie weiter ernähren, obwohl sie gar nicht mehr erkennt, wo der Faden in die Nadel eingefädelt werden muss?

Es muss sich was ändern! Das sagte sich der Erlanger Lehrer Martin Aufmuth vor 16 Jahren. Und entwickelte eine Vision. Die Vision vom guten Sehen für Menschen auf der ganzen Welt. Der geniale Tüftler (selbst von Kindheit an Brillenträger) machte sich an die Arbeit – und fand für alle Probleme Lösungen. Aus komplizierten Sehtests entwickelte er einfache Standardverfahren, aus schlichtem Federdraht stabile Brillengestelle. Und aus einer Bekanntschaft einen Dauerauftrag für geschliffene Gläser.

So wurde aus seiner Vision Wirklichkeit: Inzwischen haben weltweit 1,6 Millionen Menschen einen kostenlosen Sehtest bekommen – vor allem in Südamerika, in vier afrikanischen Ländern, in Indien und Myanmar. Für 630 000 Menschen sorgt die „EinDollarBrille“ dafür, dass sie gut sehen können.

„Wir verändern Leben“, kann Martin Aufmuth ohne Übertreibung sagen. Sein Verein, den er 2012 dafür gegründet hat, trägt diesen Namen. Ungefähr so viel kostet eine Brille in der Herstellung, für die „Kunden“ kostet sie im Schnitt zwei bis drei Tageslöhne. Kinder bekommen die Brille gratis.

Wie das alles funktioniert, wollten die Mitglieder des Schwabacher Lions Clubs genau wissen. Präsident Dr. Stephan Brückner, selbst Augenarzt, zudem verwandt mit einer früheren Schülerin des Erlanger Lehrers Aufmuth, nahm Kontakt zum Verein auf und begrüßte nun zwei herausragende Referentinnen in Schwabach. Sowohl Heike Hertrich als auch Alwine Beck sind wie etwa 300 weitere Mitglieder ehrenamtlich im Verein engagiert.

Alwine Beck, früher Lehrerin in Simbabwe, hatte sich „nur gewundert“, erzählt sie heute, wenn manche Kinder nach der Zeugnisnote nicht mehr in den Unterricht kamen. „Dass es vielleicht an schlechtem Sehen lag, darauf kam ich gar nicht.“ Heute ist sie als „Biegerin“ im Einsatz. Den Schwabachern zeigte sie mit dem von Martin Aufmuth entwickelten Material- und Werkzeugkasten, wie aus einem halben Meter Draht und ein bisschen Schrumpfschlauch, mit einer originellen Scharnier-Idee sowie mit Geschick und Übung ein strapazierfähiges Brillengestell entsteht – in einer halben Stunde. „Die schnellsten Bieger in Malawi brauchen nur 18 Minuten“, lacht sie.  

Dort und in allen Ländern, wo der Verein aktiv sein darf, werden die Brillen ausgegeben – und nach Möglichkeit auch produziert. Der Verein bildet in den Empfängerländern Bieger und Sehtester aus, schafft damit Arbeitsplätze. Insgesamt sind es mehr als 400. Vielfach entstehen daraus eigenverantwortliche Kleinunternehmen, die mit dem Verein weiter kooperieren.

Die Gläser für die genial gebogenen Gestelle kommen aus China. Dorthin hat Lehrer Aufmuth – ebenfalls durch die Schule – Kontakt zu einem Linsenhersteller, der produziert die Gläser so günstig, dass die komplette Brille nicht mehr als einen Dollar kostet.   

Heike Hertrich ist von Beruf Orthoptistin, also vertraut mit dem Thema Sehstörungen. Sie ist schon seit zehn Jahren beim Verein, leitet dessen Erlanger Regionalgruppe und berichtet über die Arbeit aus erster Hand und eigenem Erleben vor Ort. Das heißt, sie erinnert sich an die Vornamen der kolumbianischen Schulmädchen, mit denen sie Sehtests gemacht hat, oder an den des Mannes mit dem grauen Star.

Der graue Star, so berichtete sie auch in Schwabach, gehört ebenfalls zum Arbeitsgebiet des Vereins. 7500 Katarakt-Operationen haben die Vereinsmitarbeiter bis jetzt begleitet. Die OPs sind für die Betroffenen kostenlos.

Aber wie kann sich der Verein finanzieren mit seiner „good vision“, seiner Vision vom guten Sehen? „Aus dem Verkauf der Brillen für zwei Tageslöhne“, berichtet Hertrich, und aus Spenden. Für den Schwabacher Lions Club Anlass, den Geldbeutel weit aufzumachen. 2500 Euro für die „EinDollarBrille“, gut angelegtes Geld, kommentiert Präsident Brückner.

CAROLA SCHERBEL

 

Bilder:

1. der Vereinsgründer Martin Aufmuth mit Kindern

2. Ein Sehtest

3. Die Brillenbiegerin Alwine Beck in Schwabach beim Lions Club

Titelbild: Heike Hertrich und Alwine Beck mit Lions-Präsident Dr. Stephan Brückner (v.l.)